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Kein automatischer Verfall von Urlaub mehr

Rechtzeitig zum Jahresende beschert uns der EuGH mit seinen Urteilen vom 06.11.2018 in den Fällen C-684/16 (Shimizu) und C-619/16 (Kreuziger) noch eine nicht völlig überraschende, aber den Grundsätzen des deutschen Urlaubsrechts komplett entgegenlaufende Entscheidung, die eine Grundsatzfrage zur Beantragung und dem Verfall von Urlaubsansprüchen auf Vorlage des Bundesarbeitsgerichts und des Oberverwaltungsge-richts geklärt hat.

Bisher galt in Bezug auf den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers, soweit nicht tarifliche Regelungen vorge-hen, das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) wo § 7 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 BUrlG festlegen, dass der Urlaubsanspruch an das Kalenderjahr gebunden ist. Er muss im laufenden Kalenderjahr genommen werden und ist nur aus-nahmsweise auf das Folgejahr übertragbar. Es ist Sache des Arbeitnehmers seinen Urlaubsanspruch geltend zu machen und rechtzeitig Urlaubsgewährung von seinem Arbeitgeber zu beanspruchen. Ansonsten verfällt der Anspruch mit dem Schluss des Jahres.

Nun hat der EuGH seinen in den letzten Jahren entwickelten, dogmatischen Weg konsequent fortgesetzt und in den vorstehend zitierten Entscheidungen festgestellt, dass im Urlaubsjahr nicht genommenen Urlaub nicht zum Ende des Urlaubsjahres oder dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses ohne weiteres verfallen darf. In seinen Entscheidungen führt der EuGH aus, dass es das Unionsrecht nicht zulasse, dass Arbeitnehmer die ihnen gemäß dem Unionsrecht zustehenden Urlaubstage allein deshalb verlieren, weil sie vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder vor Ablauf des Kalenderjahres keinen Urlaub beantragt haben. Auch der Verlust eines Anspruchs auf Urlaubsabgeltung für nicht genommenen Urlaub allein auf Grund eines unterlassenen Urlaubsantrags wäre mit dem Europarecht unvereinbar. Ansprüche auf Urlaub in Natur bzw. auf Urlaubsabgel-tung könnten nur untergehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub rechtzeitig zu nehmen. Dazu muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aufklären und diese Auf-klärung im Streitfall später beweisen. Die EU-Staaten bzw. deren Gerichte müssten diese Verpflichtung des Europarechts auch dann umsetzen, wenn das geschriebene Gesetzesrecht der EU-Staaten nicht in einer Wei-se ausgelegt werden kann, die diesen europarechtlichen Anforderungen entspricht. In einem solchen Fall müssen die Gerichte entgegenstehendes nationales Gesetzesrecht unangewendet lassen, d.h. gegen das Gesetz (contra legem) entscheiden.

Das hat erhebliche Konsequenzen für die Behandlung von Urlaub in der arbeitsrechtlichen Praxis. Zukünftig werden § 7 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 BUrlG, selbst wenn sie noch im Gesetz stehen, nicht mehr zur Anwendung kommen. Stattdessen wird zukünftig der Arbeitgeber rechtzeitig dafür zu sorgen haben, dass seine Mitarbeiter im laufenden Urlaubsjahr den ihnen zustehenden Urlaub nehmen. Mindestens zur Jahresmitte müssen die Mitarbeiter angehalten werden, noch ausstehenden Urlaub zu verplanen, andernfalls der Verfall drohe wenn der Urlaub nicht genommen würde. Diese neue Situation führt zwangsläufig zu einem weiteren Novum. Die Anforderungen des EuGH sind nämlich nur dann umsetzbar, wenn der Arbeitgeber in der Lage ist, Arbeitneh-mer notfalls in den Urlaub zu schicken. Die in der Vergangenheit bei der Auslegung von § 7 Abs.1 Satz 1 BUrlG großgeschriebenen Urlaubswünsche des Arbeitnehmers müssen Arbeitgeber künftig wohl nur berücksichtigen, wenn sie damit vereinbar sind, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr vollständig erfüllt wird.

Martin Becker
Rechtsanwalt und Mediator, Winfried Becker & Partner, Lemgo